09.11.2001: Der anstrengenden Dienst in der Notfallambulanz im Krankenhaus ist zu Ende. Endlich Feierabend. Ich freue mich auf einen gemütlichen Nachmittag mit frischem Kaffee auf dem Sofa. Zur Entspannung schalte ich den Fernsehapparat ein und staune über das aktuelle Programm. Computerspiel, Science-Fiction Film, Kriegsberichte? Dazu grausame Bilder von Personen, die aus einem brennenden Hochhaus springen. Für mich ganz unverständlich, dass im Nachmittagsprogramm derart schreckliche Dinge gezeigt werden. Mit der Fernbedienung zappe ich durch die Sender. Bis ich begreife, dass gerade geschehene Terroranschläge aus den USA über den Bildschirm flackern, vergehen einige Minuten. Aufnahmen des Grauens wandern ohne Pause über alle Fernsehkanäle. Zwei Flugzeuge explodierten in den Zwillingstürmen des World Trade Centers. Es ist der schwerste Terrorangriff in Amerika aller Zeiten. In New York regiert das Chaos. Ich sehe Rauchsäulen, schreiende Menschen, Staubwolken liegen über Manhattan. Die Situation ist unfassbar und wirkt unrealistisch. Ich sitze tief berührt und gebannt vor dem Fernsehapparat und heule wie ein Schlosshund. Die Straßen von Manhattan, die Zwillingstürme, die New Yorker Bewohner kenne ich, durch unzählige USA reisen, gut. Es ist entsetzlich.
Heute, neunzehn Jahre später, bekomme ich immer noch eine Gänsehaut, sobald ich an diesen schrecklichen Angriff denke.
Ein Jahr nach dem Terrorakt flog ich wie so oft, allerdings in Vorurteilen gefangen, in die USA. Am Frankfurter Flughafen begann der Sicherheitsmarathon. Vor dem Anschlag war es möglich, mit einigen freundlichen Worten und oberflächlich kontrolliert in die USA einzureisen. Ein neues Kapitel war aufgeschlagen. Die Einreisebedingungen hatten sich nach dem Anschlag gravierend geändert. Bevor ich mich an dem „Check-in“ anstellen durfte, wurde ich von schwer bewaffneten Sicherheitspersonal streng befragt und beobachtet. Am „Check-in“ folgte eine weitere kurze Fragerunde und kontrollierende Blicke von zwei Angestellten. Alle Reisende gingen, um zur Abflughalle zu gelangen, durch die Gepäckschleuse zur erneuten Kontrolle. Das Handgepäck lief mehrmals durch den Scanner über das Laufband.
„Schuhe ausziehen, Armbanduhr ablegen, Gürtel entfernen, Jacke mit Reißverschluss ausziehen, Reisepass mit Tickets bereithalten“. So lauteten die resoluten Befehle.
Eine Aufsichtsperson führte einen Handscanner wortlos über meinen Körper. Ein zusätzlicher Sicherheitsbeamter führte endlose Interviews mit den Urlaubern. Endlich saß ich im Wartebereich zum Fluggate und schaute mir die Mitreisenden an. Dort saß ein junger Mann mit schwarzem Haar und dunklen Augen. Gegenüber eine verschleierte Dame mit Kind. Meine Augen suchten misstrauisch die Wartenden nach verdächtigen Anzeichen ab. Gedanken von Terror und Tod nahmen von mir Besitz. Vor dem Einstieg in das Flugzeug zogen Sicherheitsbeamte stichprobenartig Personen mit Handgepäck zur erneuten Kontrolle aus den Reihen. Ein älterer, dunkelhäutiger Mann fiel mir auf. Missmutig öffnete er vor dem Personal sein Handgepäck. Im Flugzeug besetzte dieser Herr den Sitz neben mir. Ich versuchte vernünftig und nicht panisch zu reagieren und grüßte freundlich auf Englisch. Während des langen Fluges ergab sich mit meinem Nebenmann ein herzliches Gespräch und meine Ängste verschwanden Stunde um Stunde.
Sicher und gut betreut in Atlanta / USA angekommen, begann der Sicherheitscheck erneut. Eine derart massive Regeldichte hatte es vorher nicht gegeben.
Die Warteschlange vor der Einwanderungsbehörde schien kein Ende zu nehmen. Ruhig und geduldig verharrten wir vor den schwer bewachten Schleusen. Zwischen den Reihen patrouillierten Polizisten mit schussbereiten Gewehren. Einzeln wurden wir an den verglasten Schalter herangewinkt. Nette Begrüßungsformeln und heitere Worte prallten an den Beamten ab. Dokumentenprüfung, Gesichtsscann, Fingerabdrücke und eine peinlich genaue Befragung nach Urlaubsziel, Grund des Aufenthaltes und Dauer folgten. Endlich die Einwanderungsbehörde bewältigt, ging ich zum „Baggage-Claim“. Es dauerte endlos, bis ich meinen Koffer auf dem Laufband entdeckte. Das gute Stück zeigte sich in Folie gewickelt und mit Aufklebern verziert. Die anschließende Zollkontrolle verlief erstaunlicherweise recht zügig.
Glücklich schloss ich meine Verwandten, die ewig auf mich warten mussten, in die Arme. In deren Haus angekommen, wickelte ich den geschmückten Koffer aus der festsitzenden Folie und öffnete ihn gespannt. Als erstes schaute mich ein Anschreiben der „Transportation Security Administration“ an. Mein Koffer hatte für die Security den Eindruck eines Risikogepäcks erzeugt und der gesamte Inhalt wurde daher auseinandergenommen und untersucht. In diesem Augenblick unwichtig, denn gesund und sicher, um einige Erfahrungen reicher, war ich in den USA angekommen. Die Stimmung in der Familie angesichts des Attentates wirkte allerdings bedrückend. Sorgenvoll und ängstlich betete meine Tante um ihren Enkelsohn, der einen Einberufungsbefehl für Kriegshandlungen im Irak bekommen hatte. Nach einem einjährigen Einsatz im Kriegsgebiet kam er schließlich körperlich unversehrt, aber mit psychischen Folgeschäden in die USA zurück.
Mein nächster Urlaub in die Vereinigten Staaten? Steht noch nicht fest. In Deutschland gibt es so viele Reiseziele, die noch unentdeckt sind.