Diese Geschichte wurde schon unzählige Male im Freundeskreis zum Besten gegeben. In Erinnerung an meine Mutter. Denke ich heute an die Eisbären in Amerika muss ich schmunzeln. Damals war mir nicht zum Lachen zumute. Aber die Zeit lässt Pech und Pannen gnädig erscheinen. Mutter kannte jahrelang nur einen Ferienort. Fichtelberg im gleichnamigen Fichtelgebirge. Zweimal im Jahr wurden die Koffer gepackt und ich mit Beaufsichtigungsaufträgen versehen. Gut gelaunt, mit Vorfreude auf den bevorstehenden Urlaub, stieg die Mutter im nahen Bahnhof in den Zug. Glücklich landete sie irgendwann im Fichtelgebirge. Ich war mir sicher, meine Mutter sprach dort jeden Grashalm mit „Du“ an. Zahlreiche silberne Ziertellerchen schmückten inzwischen Mutters Stubenwand. Feierlich für die immerwährende Urlaubstreue vom Bürgermeister der Fichtelgemeinde höchstpersönlich überreicht. Nach jedem Fichtelurlaub, das war sicher wie das Amen in der Kirche, wurde ich für meine Beaufsichtigungstätigkeiten reich beschenkt. Wundervolles, glitzerndes Bleikristallnippes, dass bei Nichtanwesenheit meiner Mutter, im tiefsten Winkel meines Schrankes verschwand. Geschmäcker sind eben verschieden. Eines Tages kam die Mutter freudig mit einer neuen Beute aus dem Gebirge heim. Freudestrahlend präsentierte sie eine traumhaft handgeschliffene Kaminuhr aus Bleikristall, mit funkelnden Schliffdekor umkränzt. Geschätzt dreißig Zentimeter hoch wie breit zeigte die Uhr einen Gletscher, auf dem zwei Eisbären thronten. Mitten im Eisfelsen steckte eine laut tickende Uhr. Die Handarbeit war überwältigend, meinte jedenfalls die Mutter. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Aber siehe da, diese außergewöhnliche, gläserne Uhr war nicht für meinen Haushalt bestimmt. Mutter ordnete sofort an:" Wenn ich einmal sterbe, bekommt diese Uhr meine beste Freundin Ilse in Amerika!"
Eines Tages trat das traurige Ereignis ein und es galt das Erbe aufzuteilen. Eins war sicher. Die Eisbärenuhr musste über den großen Teich in die Staaten. Die Portokosten der Bundespost überstiegen fast mein Erbe und haben mich rasch auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht. Das war kaum finanzierbar. Und würde das gute Stück ohne Schaden über das Meer kommen?
Ein Jahr später ergab sich eine elegantere Lösung. Ich plante, meine Ferien in der USA zu verbringen. Warum nicht die geschmackvolle Uhr fix in den Koffer packen und ab damit zur Tante. Gesagt, getan. Schon auf dem Hamburger Flughafen war für mich der erste Stopp. Dank der gründlichen Sicherheitskontrollen wurde ich an einen Extraschalter gebeten. Der Koffer wurde geöffnet und Muttis Uhr musste neu verpackt und geteilt werden. Die tickende Uhr wurde aus dem Gletscher gezogen, gleichzeitig die Batterien entfernt. Dick eingewickelt in Schlafanzug und Unterwäsche konnte nichts passieren. Die Eisbären verschwanden, unter den Kuschelpullis, in einer anderen Kofferecke. Genau dokumentiert, extra gesichert durfte ich nach Pass- und Gesichtskontrolle weiterreisen. Angekommen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ging ich ohne Schwierigkeiten durch die Einwanderungsbehörde. Gemütlich wurde es erst bei der Gepäckausgabe. Mein Koffer drehte sich nämlich nicht mit seinen Kollegen auf dem Rollband. Dafür standen zwei Sicherheitsbeamte, schwer bewaffnet und mit strengem Blick neben dem Band, lässig mit einem Fuß auf meinem Besitztum. Mit leichten Bauchschmerzen schlenderte ich auf die Beamten zu und gab mich zu erkennen. Unauffällig Koffer schnappen und weg? So einfach war es leider nicht. Durch ein kurzes Winken wurde ich aufgefordert den freundlichen Herren zu folgen. In einem Nebenraum durfte ich den Rucksack abgeben, der erneut peinlichst untersucht wurde. Diverse Dinge wurden in Einzelteile zerlegt. Von der Fototasche bis zum Kugelschreiber, alles verdächtig. So viel Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit fand ich großartig. Als Alleinreisende Frau gondelt man so sicher um den Globus. Die Staatsdiener wollten sodann wissen, ob ich picobello Wäsche trug. Wahrscheinlich durfte man nur mit manierlicher Unterwäsche ins Land einreisen. Auf Kopfnicken folgte ich einer Polizistin zur nahen Kabine und legte unter strenger Beobachtung Kleidungsstück für Kleidungstück ab. Gott sei Dank hatte ich lupenreine Füße und eine saubere Weste. Nach längeren, eindringlichen Diskussionen wurde ich aufgeklärt, dass mein Koffer sich als Sicherheitsrisiko entpuppt hatte. Objekte im Koffer sahen merkwürdig aus. Beim Durchleuchten wären eine Uhr und seltsame Figuren sichtbar geworden. Mutters Eisbärenuhr. Wie konnte es anders sein. Leider musste der Koffer geöffnet und der gesamte Inhalt von fleißigen Beamten akribisch untersucht werden. Entstandener Schaden wurde nicht ersetzt. Sicherheit vor Bleikristall. Gewiss schaute meine Mutter von oben herab und hatte die Hand im Spiel. Vielleicht ein kleiner Hinweis, da ich Bleikristall nie zu schätzen wusste? Stunden später kam ich, etwas geschafft, mit lädiertem Reisegepäck bei meiner Tante an. Was erledigt ein Besucher in den Ferien sofort? Die Ausgabe der Gastgeschenke. Die mitgebrachten Kaffee- und Teepakete zeigten sich vollkommen durchlöchert. Ihr Inhalt erstreckte sich bis in die Unterwäsche. Ostfriesische Teeblätter lagen im BH. Eine Prise Kaffee in den Socken. Der Rest der krümeligen Genussmittel verteilte sich im Stauraum des Koffers. Das Sicherheitspersonal hatte es nicht versäumt, mit langen Drähten in den Packungen herum zu bohren, um nach Sprengmittel zu suchen. Klar, Sprengstoff im Ostfriesentee. Endlich kam die zerteilte Eisbärenuhr, meisterhaft glänzend und unbeschadet zum Vorschein. Zügig steckte ich Uhr und Gletscher zusammen und überreichte das Präsent der Tante: " Hier, die ist für dich. Von Mutti. Nur du solltest diese reizende Uhr erben!" Als ich die Freudentränen meiner Tante sah, waren alle Erlebnisse auf dem Flughafen vergessen. Eine wahre Begeisterungswelle schlug der gläsernen Gletscheruhr entgegen." Extra für mich. Von meiner besten Freundin. Ach, könnte sie es doch noch sehen."
Das kann meine Mutter bestimmt, denn Bleikristall ist beständig. Die Uhr ist wohlbehalten angekommen und glänzt heute noch auf einem Ehrenplatz auf dem Kamin in Amerika.