Tut, tut, tut die Eisenbahn, heute wollen wir einmal nach Österreich fahren.
Während der Fahrt kommen Mann / Frau sehr schnell zu der Erkenntnis, dass viele andere Reisewillige die gleiche Idee haben. Sie wollen auch nur eins…mit der Eisenbahn nach Österreich fahren. Nun gilt es, von meinem Heimatort ausgehend, viele Stunden in sitzender Position zu verbringen, aus der ich die Mitreisenden studieren kann.
Der Herr im mittleren Alter zum Beispiel, der in Naumburg zusteigt. Zügig belegt er gleich zwei Zugpolster, um das gesamte Gepäck zu verstauen. Natürlich hat die Deutsche Bundesbahn extra Ablagen für das Gepäck in ausreichender Menge in das Abteil eingebaut. Aber schnell wird klar warum es für einige Mitmenschen vorteilhafter ist, das Gepäck in Sitznähe zu behalten. Kaum tuckert die Eisenbahn zur Weiterfahrt an, beschäftigt sich der Herr mit der ersten Tasche und zaubert unzählige gefaltete Plastiktüten ans Tageslicht. „Jetzt wird es interessant,“ denke ich so vor mich hin und setze mich gleichzeitig in Beobachtungsposition. Lässig klappt der nette Herr die Tischablage herunter. Sorgfältig werden die knisternden Plastiksäcke auf der Ablage dekoriert und zufrieden betrachtet. Kaum sind sämtliche Tüten auseinandergefaltet, bügelt er diese mit den Händen sorgsam glatt. Faltenfrei und origamimäßig zusammengefaltet, schiebt der Tütenfalter das gesamte Plastikpaket sorgsam in die Reisetasche Nummer eins zurück. „Wahrscheinlich durfte er früher bei Mutti seinen Bügeltrieb nicht ausleben…“, kam es mir in den Sinn. Bis nach Österreich ist es eine lange Fahrt, darum wird der Plastiktaschenfaltvorgang mehrmals wiederholt. Kaum sind die Taschen ordnungsgemäß verstaut, befördert der emsige Herr eine neue Plastiktüte aus der Reisetasche Nummer zwei. Die Spannung steigt. Aha, eine Flasche mit alkoholischer Gärung kommt ebenfalls zum Vorschein. Zügig aufgeschraubt und mit einem kräftigen Schluck wird, denke ich, die Plastikbügelei begossen. Nach einem klitzekleinen Augenblick der Ruhe steht der Herr auf, zwängt sich an seinen Taschen vorbei, geht langsam suchend durch das Abteil. „Er sucht wohl das stille Örtchen…“ bemerkt mein Gedankengang. Falsch, die in den Netzen hängenden Fahrplanheftchen, das Kursbuch nebst anderen Broschüren werden eingesammelt und wie eine sichere Beute zum Sitz getragen. Hier ist also ein Sammler unterwegs. Alle Plastikbeutel kommen erneut aus dem Dunkel der Reisetasche Nummer eins zum Vorschein um ihre nächste Aufgabe zu erfüllen. Die Broschüren, die Fahrpläne, das Kursbuch, alle diese netten Reiseinformationen landen nun in einen entsprechenden Beutel. Erneut werden die Tüten gebügelt und landen samt Inhalt in den Tiefen der Reisetasche Nummer eins. Ermüdend wäre es nun die unzähligen Bügel- und Trinkvorgänge weiter zu beschreiben. Wie bereits erwähnt, die Fahrt nach Österreich ist lang. Da kann Mann / Frau eine Menge wegbügeln. Ich überlege, bei der nächsten Zugfahrt meine heimische Bügelwäsche im Zug anzubieten. Bis zum Zwischenstopp in München sind sicher einige Oberhemden super glatt.
Wenden wir uns nun den modernen Eltern nebst Ablegern drei Polsterreihen vor mir zu. Vorbildliche Erziehungsmethoden, super Sprachangebote, vornehme Verhaltensweisen werden den Mitreisenden geboten. Die kleine Luise fragt ihren Papa einfach mal so: „Darf ich Brezel?“ Eigentlich eine klare Anfrage, sinniere ich so vor mich hin. Irrtum, der Papa ist anderer Meinung: „Bitte, Luise spreche einen ordentlichen Satz.“
Luise, mit zarter Stimme:“ Papa, darf ich bitte etwas fragen?“
„Ja, bitte.“
„Darf ich bitte Brezel?“
Nun die logische Antwort: “ Bitte frage in einem ordentlichen Satz!“
Luise, schon etwas weinerlich:“ Papa, darf ich bitte eine Brezel essen?“
„Ja, natürlich darfst du eine Brezel essen.“
So, spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte Papa seine Brezel alleine essen können. Hätte ich Brezel im Gepäck mitgeführt, wären diese jetzt über die Polster geflogen. Ungefähr fünf Stationen lausche ich noch den Sprachunterricht der Familie. Das mitgeführte Baby kommentiert die Satzerfolge mit Lalalalalala. Na, hoffentlich in der richtigen Reihenfolge. In München wird es im Zugabteil international. Die Reisenden wechseln die Plätze. In der Reihe vor mir nimmt ein freundlich grüßender Herr, indischer Abstammung Platz. Schon nach kurzer Fahrt durch wunderschöne Täler nebst hohen Bergen vernehme ich ein „Wow“, „Great“, Wow“.
Klar, ich denke in Indien sind so nette, grüne Gegenden selten. Hier stehen überall „Milka Kühe“ mit ihren klingenden Glocken um den Hals auf den Almen. Hohe Tannen und das Edelweiß lassen grüßen. Um den Gesamteindruck zu krönen, trällert uns der fröhliche Inder im Abteil fremdländisch klingende Liedchen zu.
„Das passt scho!“, würden die hiesigen Einheimischen sagen. Dank der Deutschen Bundesbahn darf der fleißige Radfahrer sein mobiles Gerät in einem Extraabteil abstellen. Finde ich klasse. Aber muss man als Fahrradreisender jeden der es hören möchte oder nicht beim Öffnen der Tür mitteilen: “ Also, an der nächsten Station steige ich aus. Ich stehe hier nur, damit ich beim Aussteigen den Zug nicht aufhalte und es schneller geht.“ Nach der zehnten Wiederholung war auch mir klar: „An der nächsten Station steigt er samt Rad aus.... usw. usw.“ Dann war da noch, zwischen Salzburg und Bad Gastein, die ältere Dame mit dem reservierten Sitz. Der leider schon von einem anderen Reisenden besetzt war. „Unerhört, das ist mein Platz, wollen Sie meine Reservierung sehen?“ Nein, will der Reisende nicht. Wir anderen auch nicht. Der junge Mann steht höflich auf, wünscht eine gute Weiterreise und verschwindet in den Abteilen des Zuges. Wer nun aber glaubt die Dame ließe sich zufrieden auf ihren reservierten Sitz nieder, der täuscht sich. Unruhig wird zuerst das Abteil erkundet. Anschließend die Toilette aufgesucht und erneut das Abteil erkundet. „Sie könne nicht so lange sitzen, wegen ihres Krampfaderleidens und ihrer schwachen Blase“. Aha, sehr interessant. Viele Stationen verbleibt die Krampfaderlady, immer die Toilette im Blick, schwankend im Mittelgang stehen. Naja, wenn es schön macht! Und was macht unser fleißiger Tütenbügler? Leider verließ er vor Klagenfurt den Zug. Wahrscheinlich um frische Plastiktüten zu besorgen. Neue Gäste steigen zu. Soeben lässt sich eine Dame mittleren Alters, gelangweilt Kaugummi kauend, auf meinen freien Nebensitz plumpsen. Ein freundliches „Grüß Gott“ oder „Ist der Platz noch frei?“ wäre nett gewesen. Da lobe ich doch die Erziehungsmethoden von Papa… drei Reihen vor mir. Dann endlich Österreich. Alle aussteigen. Ach, wie schön. Das Tal, die Menschen, die ich so schlecht verstehen kann. Vielleicht sollte ich lieber Urlaub am heimischen Baggersee machen, aber was würde ich da alles verpassen.